Gelnhaar online - Mut zur Mundart


Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 12.08.2006

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Ortenberg (ddp-hes). Olaf Kromms Botschaft ist eindeutig, wenn auch nicht für alle Welt verständlich: «Schwätzt Platt met de Kean, met de Nochbern, mem Lanroat, mem Parr un aach met de Zougeraaste. Schwätzt Platt - mier soi Owerhesse», plädiert der Stadtverordnete aus Ortenberg (Wetterau) für mehr Mut zur oberhessischen Mundart.

Oberhessen ist die Region des mittleren Hessens - ein Frankfurter würde sagen: alles hinter Friedberg. Das klingt nach Kaiserzeit, Großherzogtum Darmstadt und «Provinz Oberhessen», nach Mittelgebirge, Obstbäumen und schmuckem Fachwerk. Seit geraumer Zeit aber polieren Initiativen aus Politik, Wirtschaft und Kultur die verstaubte Bezeichnung wieder auf. Oberhessen rückt ins Bewusstsein, nicht nur auf Bahnhöfen als in Klammern gestauchter Ortszusatz. In der Wetterau und dem Vogelsberg horten die Menschen ihr Erspartes bei der fusionierten «Sparkasse Oberhessen», in Marburg liest man die «Oberhessische Presse» und die IHK Gießen-Friedberg schwelgt in «Visionen für Oberhessen».

Aber, klagt Plattpfleger Kromm, die dazugehörige Sprache bleibe auf der Strecke - dieses ruppige, urwüchsige Platt, dessen Sätze immer mit «Ei» anfangen. Mit der älteren Generation sterbe auch der Dialekt aus. Dabei brauche Identität eine Sprache. «Niemand würde in Oberbayern Urlaub machen, sprächen die dort Hochdeutsch.» Kromm erstellt derzeit eine Schautafel «ABC des Oberhessischen»: mit dem markig gerollten R und dem nasalen Zwittervokal aus O und U. Schulunterricht auf Oberhessisch müsse her, fordert er.

Nicht nur Kromm sorgt sich um den Niedergang seiner Mundart. «In der übernächsten Generation ist das Oberhessische, eigentlich heißt es Mittelhessisch, ausgestorben», prognostiziert Heinrich Dingeldein, Marburger Dialektologe und Herausgeber eines Sprachatlasses. Die hessischen Mundarten verschmölzen zu einer Art Hochhessisch, das vor allem durch südliche Formen geprägt werde. «Unser Platt löst sich darin auf.» Schon heute mogelten sich Laute und Wörter aus dem Rhein-Main-Gebiet hinein. «Das Sch verdrängt das Ch, und das R flacht ab.» Dingeldein nennt das Durchschnitts-Hessisch spöttelnd «RMV-Hessisch», benannt nach dem Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbundes.

In der Sprache spiegelten sich gesellschaftliche Entwicklungen: Die Menschen, die zur Arbeit nach Frankfurt pendelten, identifizierten sich heute nicht mehr mit Oberhessen. Dingeldein beklagt: «Ohne ein oberhessisches Bewusstsein ist die Sprache nicht haltbar.» Auch andernorts veränderten sich Dialekte: «Bis Frankfurt-Oder wird berlinert und Stuttgart beeinflusst das Schwäbische.»

Marlit Hoffmann, eine Mundartbewegte aus dem Lahn-Dill-Land, bietet ihrer «Muttersprache Platt» ein Reservat: im «Verein zur Erhaltung der mittelhessischen Mundart und Kultur» und in Volkshochschulkursen. Es freut sie, dass die Grundschule Hohenahr-Erda Mundartunterricht anbietet, dass Autoren Wörterbücher, Gedichte und Lieder «uff Platt» verfassen. Jahrelang, bedauert sie, sei Plattschwätzen verpönt gewesen, weil Eltern um die Deutschnoten ihrer Kinder bangten. Dabei hätten Sprachwissenschaftler inzwischen herausgefunden: Wer mit Hochdeutsch und einem Dialekt aufwachse, habe dieselben Vorteile bei der Sprachentwicklung wie ein bilinguales Kind.

Olaf Kromm spricht mit dem Sohn nur originales Oberhessisch, mit der Tochter nur Hochdeutsch. Laut einer Playboyumfrage finden allerdings nur 14 Prozent aller Frauen, dass das Hessische sexy klingt, Bayrisch wirkt immerhin auf 28 Prozent erotisierend. Kromms Kommentar: «Des mächt naut.»


Dazu passend: Hier die 40 Wenker Sätze auf Gelnhaarer Mundart, gesprochen von Olaf Kromm 2002


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